Erkundungen

Text: Ari Lannoy, aus dem Buch „Le Domaine des Grottes de Han, une aventure humaine” von Albert Joris („Domäne der Grotten von Han, ein menschliches Abenteuer”).

Der Mensch und die Höhle… Es ist eine lange Geschichte, die ich gerne erzähle, weil ich sie gut kenne. Es ist sozusagen meine eigene Geschichte. In diesen wenigen Zeilen werde ich versuchen, Ihnen das große Abenteuer spüren zu lassen, dass die Erkundung der Eingeweide des Hügels mit sich brachte. Und wie wir in der Höhlenforschung sagen: „Es geht weiter!“.

Mein Name ist Ari Lannoy. Ich wurde 1987 geboren und seitdem bin ich in der Tropfsteinhöhle von Han! Da meine Eltern beide Guides waren, habe ich sie oft bei ihren Besuchen oder bei der Höhlenerkundung begleitet. Meine Verbindung zur Höhle reicht noch weiter zurück, da meine Familie seit sieben Generationen als Guide tätig ist. Seit den 1850er Jahren haben wir von Generation zu Generation Besuchergruppen geführt. Auch heute noch ist die Tropfsteinhöhle mein Spielplatz. Ich beobachte, studiere, erforsche sie in allen Ecken... Aber fangen wir am Anfang an!

Erste Schritte…

Die ältesten menschlichen Spuren, die in der Höhle gefunden wurden, sind Holzkohlen aus der Zeit vor etwa 10.500 Jahren. Diese Brandspuren wurden in den Galerien gefunden, die der Außenseite am nächsten liegen. Zu diesem Zeitpunkt sprechen wir mehr von Besetzung als von Erkundung. Diese Erkundung deutet mehr auf die Absicht hin, alle Netzwerke der Höhle zu entdecken.

Im Laufe der Zeit hat sich die Funktion der Höhle verändert: Zufluchtsort, Heiligtum, Räuberhöhle... Zahlreiche Spuren menschlicher Präsenz wurden im Flussbett am Ort "Trou de Han" gefunden. Mehr Infos zur Archäologie!

Der Abt von Echternach, Jean Berthels (1544-1607), schrieb als erster über diese „schrecklich anzusehende Höhle, an den Grenzen des Herzogtums Luxemburg, nicht weit von Rochefort, im Dorf Han-sur-Lesse”. Gleich danach, im Jahr 1608, wurde sie zum ersten Mal auf einer Landkarte verzeichnet.

Beschreibungen, garniert mit den ersten Illustrationen, begannen ab 1743 zahlreich zu erscheinen. Zu jenem Zeitpunkt kennt man dieselben Zugänge und Galerien wie vor Tausenden von Jahren - oder sogar noch ein bisschen weniger! Alles bleibt offen…

Der erste Große Entdecker

Im 18. Jahrhundert wandten sich wohlhabende Menschen mit Reisemöglichkeiten wahrscheinlich an die Dorfbewohner, um die etwa 300 Meter langen Galerien in unmittelbarer Nähe des „Trou de Han” zu besichtigen. Was für eine kribbelnde Expedition muss es gewesen sein, mit einem Boot in dieses klaffende, dunkle Loch reinzufahren, nur im Schein der Fackeln!

Im Jahr 1809 kommt ein Tourist aus Gent in das Dorf. Er schlug dem damaligen Fremdenführer, dem Müller des Dorfes, Jean-Baptiste Remy, vor, ein Besucherregister anzulegen. Dies ist sozusagen der offizielle Beginn der organisierten Besuche in der Han-Höhle. Immerhin ein Ereignis!

Acht Jahre später, bei einem Besuch am 6. August 1817, war es wieder derselbe Begleiter Remy, der die erste Verbindung zwischen dem „Trou de Han” (dem heutigen Ausgang der Höhle) und dem „Trou d' Enfaule” auf der anderen Seite des Hügels herstellte und so die erste Durchquerung der Tropfsteinhöhle von Han ermöglichte.

Zeitalter der Wissenschaft

Der Reiseführer Jean-Baptiste Remy nimmt 1822 an weiteren Entdeckungen teil. Es handelt sich nicht mehr um touristische Besuche, sondern um echte wissenschaftliche Erkundungen. Zwei Wissenschaftler der Akademie der Wissenschaften in Brüssel, Kickx und Quetelet, wenden sich an den Führer Remy. Sie möchten alle Hohlräume des Massivs von Boine erforschen und einen Plan davon erstellen. Mehr als 200 Meter Gänge wurden so entdeckt und dem Netzwerk von Herrn Gille, dem Besitzer der Höhle, hinzugefügt. Kickx und Quetelet veröffentlichen den allerersten Plan der Höhle, der eine Ausdehnung von 1367 Metern angibt. Dies war der Beginn eines Hypes, der bis heute eine Vielzahl von Höhlenforschern begeistern sollte.

6 Jahre später erkundet ein neuer Wissenschaftler, der Arzt Joseph Alleweireldt, die Höhle mit dem Führer Herr Vigneron. Er möchte alle Zugänge und Durchgänge detailliert beschreiben. Im Rahmen dieser Studien wird Herr Vigneron ebenfalls 457 Meter neuer Netze entdecken, die bis heute besichtigt werden: den Winzersaal, den Abgrund, die Froschgalerie, den Fuchssaal und am Ende des Weges den Käfersaal. Tierische Raumnamen für diese neue Episode in der Geschichte der Entdeckungen!

In den folgenden Jahren entdeckte auch der Reiseführer Marée einen kleinen Raum, der es 1857 ermöglichte, die Besuchsrichtung vollständig zu vertauschen.

Echte Abenteurer

Wie Sie es bemerkt haben, haben die Reiseführer bislang eine führende Rolle bei der Erkundung gespielt: Remy, Vigneron und Marée haben sich sowohl bei der Führung als auch bei den Entdeckungen abgewechselt. Und es geht noch weiter! Die 1850er Jahre sind ebenfalls wichtig in der Geschichte der Domäne. Zu dieser Zeit ist Pierre Lannoy der Hauptführer, welcher auch als „Chef -Fahrer” bezeichnet wird. 1856 wurde das gesamte Gelände (die oberirdischen Grundstücke und ihre Untergeschosse, einschließlich der Tropfsteinhöhle) von Edouard de Spandl aufgekauft. Dieser wird den Tourismusbetrieb der Tropfsteinhöhle richtig in Gang setzen.

Im Jahr 1858 wurden fast 900 Meter zusätzliche Galerien entdeckt. Am 16. Mai überqueren der von der Höhle begeisterte Pfarrer Ambroise Jaradin und mit Hilfe von Henry Remy (dem Sohn des Müllers von 1817) den Styx und entdecken das Kapitol. Neun Tage später, am 25. Mai, kehrt immer noch derselbe Jaradin mit dem Lehrer Pochet, dem Führer Lannoy und Herrn Charlier durch eine Katzenklappe zurück und findet sich in einer 584 Meter langen Galerie wieder, die sie in die Geheimnisvollen bringt, was damals das Juwel der Höhle werden sollte. Diese Abenteurer sind verblüfft von der Schönheit des Ortes. Dies ist zweifellos der schönste Ort im Netz. Andererseits wird ihn aber auch niemand je zu Gesicht bekommen, denn die Galerie der Abenteurer ist für Normalsterbliche sehr schwierig. Sie ritzen ihre Namen in eine Schlammböschung und gehen dank der Kerzen, die sie für den Rückweg bereitgestellt hatten, voller Erinnerungen zurück ins Tageslicht.

Am nächsten Tag kommt Pierre Lannoy allein von der anderen Seite zurück. Über den neu entdeckten Styx und das Kapitol entdeckt er die Lannoy-Galerie, die ihn direkt... zu den Geheimnisvollen führt! Einen Tag zuvor schienen diese noch so unerreichbar, und nun gibt es einen neuen, viel leichteren Zugang, der es den Besuchern ermöglicht, sie zu bewundern.

Eine Familiengeschichte

Pierre Lannoy war der Urgroßvater meines Urgroßvaters. Seit diesem Mann wechseln wir uns in der Führung der Besuchergruppen von Generation zu Generation ab. Mit anderen Worten, wenn ich mit ihm beginne, bin ich die siebte Generation von Führern und Erforschern der Han-Höhle.

Ich habe mich immer gefragt, wie es zu seiner Entdeckung kam. Ich frage mich, ob sie auf Zufall oder Glück beruht oder ob er und seine Gefährten am Vorabend herausgefunden haben, wo sie sich befanden. Hatte er vielleicht eine Ahnung, dass er von der anderen Seite zurückkehren könnte? Hat er es den anderen nicht erzählt? Ich werde es wahrscheinlich nie erfahren... Diese Entdeckung ermöglichte die Einführung einer neuen Besichtigungsroute, die bis 1962 bestehen blieb!

Diese Ereignisse markieren gewissermaßen das Ende einer ersten großen Epoche der Höhlenforschung in Han, auch wenn die Speleologie offiziell noch gar nicht existierte. Nach dieser großen Entdeckung gibt es während eines Jahrhunderts keine großen Entdeckungen mehr.

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Ein geheimnisvoller und launischer Fluss!

Das Massiv de Boine birgt noch so viel Unbekanntes... Dieser Fluss, der auf der einen Seite verschwindet und auf der anderen wieder auftaucht, zum Beispiel. Welchen Weg nimmt er? Man sieht ihn hier und da in der Höhle, aber das ist nur ein ganz kleiner Abschnitt seiner unterirdischen Strecke.

1933 taucht Robert de Joly, ein berühmter französischer Höhlenforscher, mit einem Taucheranzug im Abgrund von Belvaux. Dieser erste Tauchversuch hat die Ehre, zu existieren, aber er bringt nichts Fruchtbares hervor. 1953 waren Jacques Théodore und Robert Stenuit die ersten echten Höhlentaucher in Belgien. Mit neuen Tauchtechniken nehmen sie sich die beiden kleinen Siphons stromaufwärts des Waffensaales vor und entdecken den Runden und den Ovalen Saal.

Im Jahr 1959 blieb die Höhlenforscherin Jacqueline Desmons 41 Stunden lang im Loch „Trou des Crevés” fest. Nach einem schweren Gewitter füllt sich der Eingangssiphon mit Schlamm und die unglückliche Höhlenforscherin steckt darin fest. Dem Taucher Marc Jasinski gelingt es, sie zu retten, indem er in das schlammige Wasser taucht. Er war es auch, der in diesem Jahr die Wassererkundungen wieder aufnahm und das sagenhafte Südnetz entdeckte. Sein Tauchpartner Pierre Brichard stirbt im nunmehr so benannten „Siphon de l'Au-Delà” (Siphon des Jenseits) stromaufwärts des Waffensaales. Dieses tragische Ereignis am 12. September 1959 bedeutete den Stillstand der Höhlentauchgänge für mehre Jahre.

Golden Sixties

Ich schrieb weiter oben, dass die Touristenroute 105 Jahre lang unverändert bleiben würde. Ein Rekord! Doch in den 1960er Jahren belebte eine ungeahnte Aufbruchstimmung die Domäne. Überall in und auf dem Hügel befinden sich Ausgrabungsstätten.

Im September 1962 entdeckte der Spéléo Club Verviétois die Galerie der Verviétois. Diese verbindet den Winzersaal mit den Geheimnisvollen. Innerhalb von sechs Monaten werden diese 236 Meter für Besucher zugänglich gemacht. Das ist sehr interessant, denn es erleichtert den touristischen Rundgang und vermeidet die unteren Etagen, die schlammig und weit weniger dekoriert sind. Dies ist auch heute noch der konkretionärste Teil des Touristenpfades, der seit 1963 unverändert geblieben ist!

Ein weiteres Beispiel eines pharaonischen Projekts in diesem Jahrzehnt war der Bau des Tunnels, der einen neuen Zugang zum Inneren der Höhle bietet, und dies ab dem Wiederauftauchen des Flusses Lesse über die Petites Fontaines bis zur Galerie Lannoy. Welche Stimmung muss damals geherrscht haben!

Ein fabelhaftes Weihnachtsgeschenk

Der Südhang von Boine machte im Winter 1964 erneut von sich reden. Eine Gruppe junger Amateurhöhlenforscher und Naturforscher untersucht die Fledermäuse im Loch „Trou Picot”. Als sie am 26. Dezember einen Felsen in das darunter liegende Vakuum kippen, machen sie eine der besten Entdeckungen in der Geschichte der Höhlenforschung in Belgien. Dort öffnet sich vor ihnen eine riesige Höhle, eine Abfolge gigantischer Räume, einer konkreter als der andere auf einer Länge von mehr als 2 km: Grotte du Père Noël (des Weihnachtsmanns).

Dieser Ort hatte bereits vor mehr als fünfzig Jahren Aufmerksamkeit erregt. Denn im Winter, wenn es draußen kalt und trocken ist, ziehen an dieser Stelle warme Dampfschwaden durch die Steine, sodass sich dort üppige Moose entwickeln können. Das bedeutete zwangsläufig, dass sich darunter ein Vakuum befindet. Eine Leere, die als Weihnachtsgeschenk 1964 von Deflandre, Vivier, Leonard, Sturbois und Petit entdeckt wurde.

Der Abgrund von Belvaux

Ein weiterer tragischer Unfall traf die Taucher im Jahr 1971: am 25. August verirrt sich Daniel Ameye in dem immer noch unübersichtlichen Abgrund von Belvaux und wird nie gefunden. Nun ist es wirklich vorbei mit den Tauchgängen in Han bis zum Jahr 1985...

Doch der Rest geht weiter. Von 1964 bis 1972 grub der Speleo Club der Katholischen Universität Löwen (SCUCL) in einer Galerie, die sich unter dem Portal des Abgrundes von Belvaux öffnete: Drève des Etançons (Steg der Schnabeltiere). Nach 501 Arbeitstagen, endlich ein Sieg über den Fluss: Sie entdeckten das Netzwerk der unterirdischen Lesse, stromabwärts des Abgrundes. Dies fügt dem Netzwerk der Tropfsteinhöhle von Han 1.500 Meter hinzu und ermöglicht eine außergewöhnliche Fahrt von 800 Metern auf dem Fluss. Einzigartig in Belgien!

1987, 38 Jahre nach dem Tod von Pierre Brichard, gelang es dem Taucherteam von Michel Pauwels und Claude Grandmont, den Au-Delà-Siphon zu durchqueren. Sie schwimmen ab dem Waffensaal durch mehrere Siphons mit einer Gesamtlänge von 372 Metern bis in eine Tiefe von 32 Metern hinauf! So treffen sie wieder auf das Netzwerk der unterirdischen Lesse, das auf der anderen Seite bereits durch die „Drève des Etançons” zugänglich ist. Der Abgrund von Belvaux, ein mythisches und symbolisches Hindernis mit einer Tiefe von 42 Metern, wird 1988 endlich von Pauwels, Bastin und Hoenraet bezwungen. Das Geheimnis des unterirdischen Flusses ist endlich gelüftet!

21. Jahrhundert

Der offizielle Plan des Höhlensystems von Han, der nach den jüngsten Entdeckungen erstellt wurde, weist 14.248 Meter Gänge auf, das bei weitem längste Netz in Belgien. Die Lorette-Höhle in Rochefort, die zweitlängste Höhle Belgiens, ist 6.595 Meter lang. Ausführlicher sind es also 10.693 Meter für die Han-Höhle, 2.115 Meter für die Weihnachtsmann-Höhle und 1.440 Meter für das Loch „Trou des Crevés”.

Auf den Plänen ist die „Salle de la Pentecôte”, der Pfingstsaal, im Südnetz sehr nahe der unterirdischen Lesse. Im November 2019 wird eine Verbindung hergestellt, indem etwa 20 Meter in den Lehm gegraben werden. Ich war an dem Tag, an dem diese Verbindung hergestellt wurde, anwesend. Ich konnte live die Emotionen spüren, die durch die Gruppe gehen, als aus dem hinteren Teil der Galerie „Es geht vorbei, er ist vorbeigegangen!” zu hören ist. Das ist ein sehr starker Moment.

Einen Monat später, während meiner Winterarbeit im Kuppelsaal, machte auch ich eine Entdeckung. Angelockt durch das Geräusch des Wassers durch die Felsen stieg ich zwischen der Wand des Saales und dem Geröll hinab, aufgeregt, wie Sie sich vorstellen können, als ich den Klang, der mich führte, immer lauter hörte. Plötzlich gelangte ich durch ein kleines Loch an einem Überhang über dem Fluss (stürmisch zu dieser Jahreszeit). Da war ich im „Salle de la Sentinelle”, Wächter-Saal. Noch eine Entdeckungspassage!

161 Jahre nach den Entdeckungen meines Vorfahren war es für mich außergewöhnlich, dies zu erleben. Diese Neugier zog mich in Richtung des Unbekannten, und dann beschleunigte sich mein Herz vor Ekstase, als ich sah, dass es irgendwohin führte ... und schließlich die Rückkehr zum Bekannten. Ich konnte es kaum erwarten, es allen zu erzählen!

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Es geht weiter!

Marc Jasinski beschreibt die Emotionen bei einem solchen Anlass sehr gut: „Für alle Höhlenforscher auf der Welt gibt es drei magische Worte, die die Hoffnungen, die Entdeckungsfreude, die intensive Freude, die man unter der Erde erleben kann, zusammenfassen. Diese beiden Worte lauten einfach: „Es geht weiter!“ » (…) Ich glaube, dass der menschliche Körper für diese Entdeckungen und für dieses körperliche Glück geschaffen ist, sich mit diesen harten Dingen auseinanderzusetzen, die für gewöhnliche Sterbliche eine feindliche Welt darstellen, eine Welt, die völlig unwirtlich ist.

Ich bin mir sicher, dass es noch mehr zu entdecken gibt und dass es irgendwo weitergeht!

Dieser Text wurde von Ari Lannoy verfasst. Es stammt aus dem Buch „Le Domaine des Grottes de Han, une aventure humaine” von Albert Joris („Domäne der Grotten von Han, ein menschliches Abenteuer”), das in den Geschäften der Domäne erhältlich ist.

Ari Lannoy